Ein Schritt fehlt noch, einen weiteren Sieg nach vier Monaten Saison in der ERIMA GFL 2023 zu holen, um am 14. Oktober im Essener Stadion an der Hafenstraße um die deutsche Meisterschaft im American Football 2023 spielen zu dürfen: Dies ist das große Ziel der vier Halbfinalisten. Am 30. September erwarten die Schwäbisch Hall Unicorns die Dresden Monarchs im Optima Sportpark, am 1. Oktober sind die New Yorker Lions aus Braunschweig zu Gast bei den Potsdam Royals im Karl-Liebknecht-Stadion.
Beide Gastmannschaften wissen, was auf sie zukommt. Besonders die Dresden Monarchs sind bestens vertraut mit der Atmosphäre in Schwäbisch Hall. Zum zehnten Mal insgesamt treffen Unicorns und Monarchs zu einem Playoff-Spiel aufeinander. Wie bisher immer zu diesen Gelegenheiten steht für die Monarchs ein „Road Trip“ auf dem Programm. Keines der bisher fünf Halbfinals in Schwäbisch Hall hatten die Sachsen in den Jahren 2014 bis 2019 siegreich beenden können. Dass davor zwei der drei Viertelfinals gewonnen wurden, war lange nur ein schwacher Trost.
Bis man 2021 zwar wieder nicht in Dresden, aber dafür auf neutralem Boden zum Finale die neunte Gelegenheit bekam und beim Schopfe ergriff: Mit einem 28:19 in Frankfurt krönten sich die Monarchs da gegen ihren Playoff-Erzrivalen zum bisher einzigen Mal zum deutschen Meister. Nun will man nicht nur den zweiten Titel in Essen, sondern auf dem Weg dahin dazu auch das erste Mal in Schwäbisch Hall siegen.
Angriff ist die beste Verteidigung – die Sachsen halten es auch dieses Jahr wieder mehr mit einer deutschen Redensart als mit der amerikanischen Football-Weisheit „Defense wins Championships“. Nur die Potsdam Royals machten 2023 mehr Punkte als die Monarchs, von allen Nord-Playoff-Teams und von allen Halbfinalisten kassierten die Dresdener dagegen die meisten Gegenpunkte. Auch im Viertelfinale erlaubten sie dem Gegner aus dem Saarland beim 45:38 deutlich mehr Punkte, als alle anderen Viertelfinal-Verlierer zusammen genommen in der regulären Spielzeit zustande brachten.
Quarterback Steven Duncan mit rund 330 Yards Raumgewinn pro Spiel und insgesamt 56 Touchdown-Pässen sowie Receiver Austin Mitchell mit fast 140 Yards pro Partie und 20 Touchdown-Fängen insgesamt führen die jeweiligen individuellen Ranglisten der ERIMA GFL mit klarem Vorsprung an. Der Monarchs-Passangriff insgesamt ist mit 4.298 Yards aus 13 Spielen das Maß der Dinge in der Liga.
Die Unicorns wissen, dass sie in dieser Hinsicht kaum mithalten können, auch wenn sie mit Tyler Rutenbeck einen Receiver am Start haben, der in den letzten Jahren gerade in den wichtigen Spielen gern mal die entscheidenden zwei, drei Passfänge machte. Nun stehen aber auf dem Feld ja Quarterbacks und Receiver nicht den gegnerischen Offensiv-Akteuren gegenüber, sondern den Verteidigern. Und da setzen auch die Unicorns an. Deren Defense holte die meisten Balleroberungen der Liga (22 Interceptions, elf gegnerische Fumbles) und war in der Folge selbst für sechs Touchdowns verantwortlich. Den Passangriff der Berlin Rebels hielt man im Viertelfinale auch dank Quarterback Sacks und Interceptions unter Kontrolle.
Die Bedrohung durch Monarchs-Pässe wird nun zwar noch einige Nummern größer. Doch es wäre nicht das erste Mal, wenn wichtige Nadelstiche der Verteidigung zur richtigen Zeit einem Angriff den Rhythmus rauben und einem Spiel eine unerwartete Richtung geben. Ob in NFL und College Football in den USA oder auch in deutschen Ligen: Immer wieder gibt es im Angriff überaus gut besetzte Teams, deren Defense den Gegner munter punkten lässt, deren Offense aber „einfach“ eben immer ein, zwei Touchdowns mehr holt. Das begeistert den eigenen Anhang, aber wenn es einmal einen „Plan B“ an einem Tag braucht, an dem nicht alles funktioniert, droht auch die ganz große Enttäuschung.
Wie bereits angesprochen: Noch mehr Yards und Touchdowns als die Monarchs holten 2023 nur die Potsdam Royals. Über 480 Yards Raumgewinn und über 50 Punkte pro Spiel sind gewaltige „Hausnummern“. Im Vergleich zu den Monarchs machen die fast 180 Yards aus Laufspiel im Angriff und dazu eine Verteidigung, die nach Yards und Punkten zu den Top drei der Liga gehört, aus den Brandenburgern ein variabler erscheinendes Team.
Wer soll die Brandenburger aufhalten auf ihrem Weg zum ersten Titel? Nun, vielleicht der Rekordmeister aus Braunschweig: Die New Yorker Lions hatten im Viertelfinale im Allgäu beim 36:34 nach zwei Verlängerungsserien sicherlich den schwereren Stand als die Potsdamer bei ihrem 54:0 gegen Ingolstadt. Doch jedes Spiel läuft anders. Die tapferen Ingolstädter antworteten auf einen eher ungewohnt holprigen Start der Potsdamer im ersten Viertel letzte Woche mit dem Versuch, frech selbst über ihr Passspiel die Initiative an sich zu reißen und die Potsdamer Endzone ins Visier zu nehmen.
Das ging schief, aber in Potsdam hat man sich sicherlich Gedanken darüber gemacht, was die Braunschweiger daraus machen könnten, wenn sie die erste Royals-Angriffsserie mit einem Fumble beenden und den Potsdamer Angriff die ersten zehn Spielminuten punktlos halten könnten. Dies wäre exakt das Spiel, wie es den New Yorker Lions liegt: geduldig auf Fehler des Gegners warten, einen Vorsprung herausspielen und diesen dann – und sei er noch so knapp – zäh zu verteidigen.
2023 mag diese Strategie auch der Zusammenstellung des Kaders geschuldet sein, der Zuschauerkrösus der vergangenen Jahrzehnte hat seine Ausnahmestellung in der Liga eingebüßt. Andere haben nachgezogen und ihre Attraktivität auch für wechselbereite Spieler aufs Braunschweiger Niveau angehoben. Doch ist der langjährige Head Coach Troy Tomlin – ein wenig sogar vielleicht gerade deswegen – so richtig in seinem Element. Der Druck, jedes Spiel möglichst hoch mit möglichst vielen Pässen gewinnen zu müssen, wie es lange beim zwölfmaligen Meister war, ist weg.
Also führt uns Tomlin einmal mehr vor, wie man aus vorhandenen Zutaten ein darauf abgestimmtes Erfolgsrezept machen kann, selbst wenn der Kühlschrank nicht allzu üppig gefüllt und der Supermarkt geschlossen ist. Wie in der Küche hilft auch auf dem Football-Feld der Blick auf den Erfahrungsschatz unserer Vorfahren. Mit stark besetzten Linien in Verteidigung und Angriff eine Übermacht vorn aufzubauen, ist die Basis. Wenn dem Gegner im Spiel kein einziger Touchdown gelingt (wofür die New Yorker Lions dreimal dieses Jahr sorgten), kann man schwerlich verlieren.
Dann braucht es eigentlich nur einen verlässlichen Running Back – den die Braunschweiger diese Saison in D’wayne Obi haben. Obi holte über 111 Yards pro Spiel, ebenso klarer Spitzenwert der Liga wie die Bilanz der Braunschweiger Laufverteidiger auf der anderen Seite des Balles: Nur ein wenig mehr als 50 Yards pro Partie erlaubten jene gegnerischen Running Backs. Das zwang die Konkurrenz ins Passpiel, und mit 23 Quarterback Sacks und 21 Interceptions ermöglichte dies in den 13 bisherigen Spielen immer wieder günstige Startpositionen für den eigenen Angriff.
Nur zweimal reichte es eben nicht zum Sieg – in Dresden und in Potsdam. Da gab es die zwei verschiedenen Varianten zu sehen, wie man mit dem Basis-Rezept scheitern kann. In Dresden geriet Braunschweig zu Beginn mit mehr als acht Punkten in Rückstand und musste selbst mehr Initiative ergreifen, was mit einem Laufangriff dann häufig nicht schnell genug geht und den Gegner im Angriff in Ruhe sein Spiel machen lässt.
Im Punktspiel in Potsdam waren die New Yorker Lions aber noch dichter dran am Erfolg, als es das Ergebnis von 40:33 für die Gastgeber vermuten lässt. Nach Touchdowns ging die Partie 5:5 unentschieden aus. Dreimal gingen die New Yorker Lions in der ersten Hälfte in Führung. Potsdam verdankte den Sieg letztlich zwei Faktoren, die nicht wirklich planbar und so am Sonntag im Halbinale nicht ohne weiteres wiederholbar sind: Zum einen gelangen gegen die sonst so starke Braunschweiger Defense alle Zwei-Punkt-Versuche nach den fünf Touchdowns. Zum anderen hatten die Braunschweiger zum Ende der ersten Hälfte nur 45 Sekunden übrig gehabt für eine Antwort auf das 24:21 der Potsdamer, die zum Start des dritten Viertels in Ballbesitz kamen und auf 32:21 davon zogen.
Wie in Schwäbisch Hall gilt also auch in Potsdam: Für das Halbfinale werden die Karten neu gemischt. Und für den GFL Bowl in Essen am 14. Oktober dann erst recht.