Erster gegen Zweiter: In beiden Gruppen der ERIMA GFL geht es am Wochenende in Spitzenspielen darum, wer die beste Ausgangsposition mit in die kurze einwöchige Sommerpause der Liga nimmt. Am Samstag erwartet Vizemeister Potsdam Royals die New Yorker Lions aus Braunschweig im Karl-Liebknecht-Stadion, am Sonntag reist der amtierende Meister zu den Allgäu Comets ins Kemptener Illerstadion.

Wer in der Südgruppe der ERIMA GFL am Ende Rang eins belegt, dies war im letzten Jahrzehnt eine Frage, die häufig früh beantwortet war. Seit 2011 haben die Schwäbisch Hall Unicorns jede Saison auf dem Platz an der Sonne abgeschlossen, seit 2015 auch kein Spiel mehr innerhalb der Gruppe verloren. Dieses Jahr ist die Lage anders: Selbst mit einem Sieg in Kempten bräuchte man im weiteren Verlauf noch Schützenhilfe von anderswo.

Ganz im Gegenteil gilt sogar: Sollten die Comets ihre bisherige Siegesserie am Sonntag gegen die Unicorns fortsetzen, wäre dies eine Vorentscheidung zu ihren Gunsten im Rennen um die Südmeisterschaft. Ihr Vorsprung auf den Titelverteidiger würde auf sechs Punkte anwachsen, der auf die Saarland Hurricanes auf mindestens vier. Gegen beide Mannschaften spielten beziehungsweise spielen die Allgäuer dieses Jahr nur ein Heimspiel. Den Direktvergleich gegen die Hurricanes gewannen sie zum Saisonauftakt. Einzuholen wären sie nach einem Triumph über die Unicorns nur noch bei drei Niederlagen aus ihren sechs verbleibenden Spielen.

Dass es 2015 ausgerechnet in Kempten war, dass die Unicorns das letzte ERIMA-GFL-Süd-Spiel verloren (mit 28:34, aber damals nach einem 40:14 der Unicorns zuvor zu Hause ohne Belang für die Abschlusstabelle), ist eine zusätzliche Pointe. Doch die aktuellen Kader sind naturgemäß völlig andere, die Chefs an der Seitenlinie ebenfalls. Während Christian Rothe, seit diesem Jahr Head Coach in Schwäbisch Hall, seinerzeit noch auf dem Feld stand, war der 33-jährige Comets-Cheftrainer Elias Gniffke damals noch in Hessen aktiv.

Seit vergangenem Jahr wird seine Handschrift als Trainer bei den Allgäuern spürbar. Auf Anhieb führte er den Club zu dessen zweiter Halbfinalteilnahme nach 2015 – mit dem Paukenschlag eines Auswärtssieges in Braunschweig im Viertelfinale. Die maßgeblichen Akteure der Offense auf dem Feld wechselten in dieser Saison, aber die Erfolgssträhne setzte sich fort, unter anderem mit dem bisher einzigen Süd-Erfolg in den Interconference-Spielen gegen die Berlin Adler.

Im Blickpunkt steht da im Angriff vor allem das Passspiel, mit dem Quarterback Javarious Smith pro Spiel weit über 300 Yards Raumgewinn produziert, dank der Hilfe von zum Beispiel Receiver Nathanael Stewart, der es pro Partie auf knapp 100 Yards bringt. In Schwäbisch Hall macht man sich aktuell aber eher Sorgen um nicht ganz so klar sichtbare Feinheiten im Allgäuer Erfolgsrezept. Nach den zwei Interconference-Niederlagen kehrten die Unicorns gegen Ingolstadt und Straubing zwar mit Heimsiegen in die Erfolgsspur zurück, ließen aber auch gegen Straubing dem Quarterback des Gegners so manche Freiheit zu eigenen Läufen.

„Wir haben gegen Straubing Probleme gehabt, den Quarterback in der Pocket zu halten. Das werden die Comets definitiv härter bestrafen“, warnt Halls Defense-Coach Mike Freckmann seine Spieler jedenfalls deutlich davor, dass Smith auch zu Fuß mit dem Ball in der Hand brandgefährlich ist. Und sein für die Offense zuständiger Kollege Felix Brenner erwartet Schwerstarbeit für die Offensive Line: „Mit dem flinken Linebacker Matt Barrett und dem körperlich starken Defensive Lineman Mark Lanier warten zwei Herausforderer, die ein Laufspiel teilweise auch gegen zwei Gegenspieler im Keim ersticken können.“ Für das noch im Umbruch steckende Team der Unicorns, das bisher darauf angewiesen war, dass man über erfolgreiches Laufspiel in die Spur findet, wird dies knifflig.

Auf eine starke Offensive Line setzen auch die New Yorker Lions. Vor der Reise nach Potsdam haben die Braunschweiger den 39-jährigen Albert Trovato für den Rest der Saison ins Aufgebot geholt. Der Rekordmeister kam bislang ebenso wie die Allgäu Comets ungeschlagen durch die Saison, hat unter anderem die Schwäbisch Hall Unicorns im Interconference-Spiel bezwungen. Den Schwerpunkt legen die Braunschweiger im Angriff auf Running Back D’wayne Obi, dessen Unterstützung dürfte am Samstag in Potsdam eine entscheidende Rolle spielen.

Auch zu diesem Nord-Spitzenspiel gibt es im weiteren Verlauf kein Rückspiel, der möglicherweise am Ende maßgebliche direkte Vergleich wird also in dieser einen Partie entschieden. Bisher hatte die Defense der New Yorker Lions wenig Probleme, den Angriff des jeweiligen Gegners zu stoppen und die Offense mit Obi früher oder später die Verteidiger zermürben zu lassen. Dies dürfte gegen die Potsdamer nicht ganz so einfach werden.

Die Royals haben zwar bereits eine Niederlage auf dem Konto. Aber auch jenes 45:59 gegen Dresden zeigt, dass Spiele unter Beteiligung der Potsdamer eine andere Dramaturgie haben, als es den Vorlieben der Braunschweiger Trainer entspricht. Während man dort seit Jahren sehr erfolgreich die Verteidigung fast unüberwindbar macht und geduldig auf Fehler des Gegners oder die Ermüdung von dessen Defense wartet, gehen die Potsdamer von Anfang bis Ende „All-In“. Angriff ist für sie noch immer die beste Verteidigung.

Im Finale 2022 gegen Schwäbisch Hall und nun im ersten von zwei Punktspielen gegen Dresden ging das schief. Die Spielanlage der Mannschaft ändert dies jedoch nicht. Die Receiver Simon Fons, Thomas Jenkins oder Brandon Polk, Quarterback Jaylon Henderson und die Running Backs Gennadyi Adams und Heiko Bals stellen mit ihrem Zusammenspiel auch die erfolgsverwöhnte Defense der New Yorker Lions vor eine spezielle Aufgabe. Die Antwort darauf hat noch keine Verteidigung in diesem Jahr gefunden, auch die der Dresden Monarchs nicht. Die Dresdener lösten das Problem mit ihrer eigenen Offense mit ähnlichem Konzept, Braunschweiger muss seinen eigenen Ansatz finden.

Auf die Duelle an der Spitze blicken auch die Verfolger mit einigem Interesse, Rang zwei bringt am Ende schließlich auch ein Heimspiel in den Playoffs. Im Süden zählen nicht nur die Saarland Hurricanes, die ihre hohe Interconference-Niederlage in Dresden beim Heimspiel gegen die ifm Razorbacks aus Ravensburg abhaken wollen, sondern auch Straubing Spiders und Ingolstadt Dukes weiter zu den Anwärtern auf einen Spitzenplatz.

Sie treffen am 8. Juli in Straubing nun zum Nachbarschaftsduell aufeinander – nach neun Jahren Pause wieder einmal. Der Sieger ihres Gesamtduells (am 29. Juli ist in Ingolstadt das Rückspiel) sollte nach Lage der Dinge beste Karten haben, in die Playoffs einzuziehen, für den Verlierer wird dies schwer. Aber damit nicht genug: Viele Spieler kennen sich untereinander, einige haben in der Vergangenheit auch auf Seiten des anderen Teams gespielt, und manche Routiniers haben noch die Rivalität aus den Jahren 2011 bis 2014 in Erinnerung, als man zunächst in der Bayernliga und nach dem gemeinsamen Aufstieg in der Regionalliga regelmäßig gegeneinander antrat.

Mit dem Zweitligaaufstieg der Dukes nach der Saison 2014 trennten sich die Wege, führten beide letztlich aber in die ERIMA GFL. Doch als Straubing 2022 seine erste Erstligasaison spielte, war Ingolstadt nach dem vorübergehenden Gang in die dritte Liga gerade erst wieder zurück in der GFL 2. Nun nach dem abermaligen Aufstieg kann die Rivalität fortgesetzt werden. Mutmaßlich ebenso auf Augenhöhe wie damals: Beide gewannen gegen Ravensburg und München, beide verloren gegen Schwäbisch Hall und das Saarland und haben so vor ihren Duellen untereinander die Playoffs im Blick.

Für einige absolute Traditionsvereine der ERIMA GFL gilt dies nur noch bedingt. Die Munich Cowboys haben dieses Jahr nur ein Spiel zum Auftakt gewinnen können, nun erwarten sie die Marburg Mercenaries zum Rückspiel im Münchener Dantestadion. Die Hessen setzen seit letzter Woche auf Elliot Bodman als Quarterback und zeigten sich gegen die Allgäu Comets auch verbessert. Entweder gegen München oder Ravensburg wird man aber die Niederlagen der Hinspiele in den Rückspielen wettmachen müssen, will man den Gang in die Relegation vermeiden.

Gegen München steht da ein 7:18 zu Buche, die Marburger werden also versuchen, einen Zwölf-Punkte-Vorsprung zu schaffen. Für Berlin Adler und Kiel Baltic Hurricanes gibt es zwar keine Abstiegssorgen, doch Tabellenletzter will man sicherlich nicht werden, was die Richtung für die beiden Spiele am 8. und 29. Juli gegeneinander vorgibt. Vor allem in Berlin hatte man sich mehr für die Saison 2023 vorgenommen – die letzte nur noch kleine Playoff-Chance steht aber hier schon auf dem Spiel.

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