Vier Tage vor dem Playoff “dahoim” erreichte unseren Quarterback Javarian Smith die Nachricht aus den USA, dass ein nahes Familienmitglied als medizinischer Notfall ins Krankenhaus eingeliefert wurde und er dringend kommen solle. Nach seiner mehr als verständlichen Abreise gingen bei den Allgäu Comets angesichts des bevorstehenden Viertelfinales im Illerstadion die Alarmglocken los. Backup-QB Terrence Shambry II., der das Team seit Ende Juli begleitete und die ein oder andere Scout-Session absolviert hatte, musste die Lücke schnellstmöglich füllen. HC Elias Gniffke hatte deshalb zusätzliche Trainingseinheiten angesetzt, um bis Samstag den neuen Puzzlestein „QB“ in die Offense so gut wie möglich zu integrieren. Eine schwierige Aufgabe, da der QB mit seinem Team sehr vertraut sein muss, um den richtigen Empfänger und das richtige Timing zur jeweiligen Spielsituation zu finden. Zum Glück konnten die Allgäuer im Angriff ansonsten auf zahlenmäßig fast alle Spieler zurückgreifen.
Bisher hatten die Comets es nur einmal geschafft, ein GFL-Playoffspiel nach Kempten zu holen – 2015 gegen die Kiel Baltic Hurricanes. Damals gewannen die Hausherren mit 39:27 und fuhren nach Braunschweig – zu dem Team, das diesmal den weiten Weg ins Allgäu auf sich nahm um das Viertelfinale gegen die Allgäuer zu bestreiten. Wie die Allgäuer waren auch die Niedersachsen von Ausfällen geplagt: US-WR Luc Meacham, RB D’Wayne Obi und US-DB Matthew Soldner waren nicht mit angereist. Unter Anwesenheit von u.a. Landrätin Indra Baier-Müller und dem zweiten Bürgermeister der Stadt Kempten, Klaus Knoll, der auch den Cointoss zum Spielbeginn ausführte, begann ein von den zahlreichen Fans im Illerstadion freudig erwartetes Footballfest.
Nach einer kurzen Eingewöhnungsphase, in der Terrence Shambry mit kraftvollen, geradlinigen Läufen überraschte – anders als die vielen Haken, die Jay Smith sonst schlug – mussten die Comets punten, erhielten aber nach einer Berührung des Balles durch den NY Lion Lawrence den Ball an der 31-Yard-Linie wieder zurück. Von dort warf QB Shambry den Ball direkt in einem weiten Bogen auf WR Ahsan Moore zum ersten Touchdown und der 7:0-Führung durch die Comets (PAT durch Marcel Schade war gut, wie alle weiteren). Bis kurz vor die Halbzeitpause wechselte der Ballbesitz immer wieder hin und her, während starke Defensereihen auf beiden Seiten größere Raumgewinne verhinderten. Die durch DC Niall Padden und DL-Coach Martin Spöttle mit neuen Spielzügen versehene und auf maximalen Angriffsdruck auf den generischen QB eingestellte D-Line schaffte es immer wieder, im Backfield der Lions deren Angriffsbemühungen zu stören. Mit knapp zwanzig verbliebenen Sekunden im zweiten Quarter bediente dann Lions-QB Lyles seinen WR Jallai in der Endzone mit einem Touchdown zum Ausgleich von 7:7 zur Halbzeit.
Im dritten Quarter legten die Lions an Schlagkraft zu – offenbar hatte man nach dem deutlichen Ergebnis in der Begegnung im August in Braunschweig nicht mit dem starken Auftritt der Hausherren gerechnet. Zwei Touchdowns der Lions durch WR Kuci und noch einmal WR Jallai brachten das Team aus Niedersachsen mit 7:21 in Führung. Die lautstarke Unterstützung der Fans – der Fanclub hatte zu Spielbeginn auch eine Flaggen-Choreo auf der Tribüne ausgerichtet – trieb die Comets weiter an, welche sich zu keinem Zeitpunkt aufgaben und nach dem dritten Touchdown der Gäste postwendend antworteten. Nach einem guten Kickoffreturn durch Eigengewächs-WR Benjamin Perauer und einem weiten Pass auf den letztes Jahr aus der Jugend aufgerückten Ahsan Moore fand Terrence Shambry den GFL-Touchdown-Rekordhalter Nate Stewart in der Endzone zum 14:21-Anschluss. Im anschließenden letzten Viertel der regulären Spielzeit war die Nervosität beider Mannschaften deutlich spürbar: Die Gäste, die auf keinen Fall ihre herausgespielte Führung aufgeben wollten und die Allgäuer, die alles versuchten, mit weiteren Punkten das Spiel wieder offen zu halten. Nach einem weiteren Ballbesitzwechsel verlor RB Oppermann tief in der eigenen Hälfte der Braunschweiger nach einem blitzsauberen Tackle durch LB Edoardo Perbellini aus Verona den Ball, den DL Felix Sencar für die Comets sichern konnte. Dieser Turnover verschaffte der Offense dann die Möglichkeit, mit einem Pass auf Marcel Schade den ersehnten Touchdown zum 21:21-Ausgleich zu erzielen. Bei Ballbesitz der Lions kam es nach einer schweren Beinverletzung des Lions-OL Jakub Berezowski zu einer halbstündigen Unterbrechung der Partie, während der Spieler durch den eingetroffenen Notarzt behandelt und für den Transport ins Krankenhaus vorbereitet wurde. Nachdem die Lions anschließend den Ball durch einen Punt wieder abgaben, hoffte die gesamte Allgäuer Fangemeinde leider vergebens auf einen siegentscheidenden Drive. Als die Angriffsbemühungen nach zwei Strafen in der eigenen Spielfeldhälfte stockten, entschloss sich die Coaches-Crew, möglichst viel Zeit durch Laufspielzüge von der Uhr zu nehmen um das Unentschieden in die Verlängerung zu retten. Bei verbliebenen 9 Sekunden Spielzeit blockte Braunschweigs OJ Thompson den Punt und verschaffte den Gästen eine hervorragende Position, das Spiel in letzter Sekunde noch zu gewinnen – doch sowohl ein Passversuch als auch ein Fieldgoal bleiben erfolglos und zum ersten Mal in der Saison 2023 ging ein Spiel der Erima GFL in die Overtime, die nach den College-Regeln ausgespielt wird.
Jedes Team startet einen Angriffsversuch von der 25-Yard-Linie aus. Erfolgen beiderseits zwei Touchdowns ohne dass ein Team nach Punkten in Führung liegt, werden obligatorische Zwei-Punkt-Versuche ausgespielt. Den ersten Angriff der Overtime lief QB Shambry nach zunächst zähem Ringen und fehlgeschlagenen Heavy-Set-Laufspielversuchen mit DL Mark Lanier als Fullback dann selbst zum Touchdown in die Endzone. Die New Yorker Lions verwandelten ihrerseits den ausgleichenden Touchdown mit einem Pass auf Niklas Römer zum 28:28. Nach einem Seitenwechsel wiederholte sich dieses Prozedere unter den Augen der mittlerweile komplett von den Sitzen aufgestandenen Fans im Illlerstadion. Nach nur zwei Spielzügen war es erneut WR Stewart, der den Ball artistisch trotz enger Deckung durch einen Braunschweiger DB fangen und zum Touchdown noch in die Endzone hechten konnte. Der anschließend durch das Regelwerk vorgegebene Zwei-Punkte-Versuch schlug fehl. Den Lions gelang zunächst ebenfalls mit einem Pass auf Römer der Touchdown zum 34:34 und auch ein zweiter Pass – wieder auf Römer – sicherte den Gästen mit 34:36 in Overtime den Sieg und den Einzug ins Halbfinale bei den Potsdam Royals.
Trotz der bitteren Last-Minute-Entscheidung und der Siegmöglichkeit vor Augen, war dies eines der erfolgreichsten Jahre des Teams. Mit einem hochklassigen, extrem spannenden Spiel, das den begeisterten Zuschauern alles bot, verabschiedete sich ein Team, das 14 Wochen lang die Tabellenführung der Erima GFL Süd innehatte, den zweiten Platz im Süden erreichte und zahlreiche Spieler ganz vorne in den GFL-Statistiken platziert hat – neben Stewart und Smith auch den Tackle-Leader und Defense-Chef LB Matthew Barrett. Dieses Heimplayoffspiel – erst das zweite der Comets-Geschichte – wird noch lange in Erinnerung bleiben, ganz ähnlich wie das Spiel gegen die Baltic Hurricanes 2015. An dieser Stelle noch einmal ein ganz herzlicher Dank an alle Fans, den Fanclub, Coaches, Staff und Helfer, die Sponsoren und Gönner der Comets und natürlich an das Team, das mit kleiner Kaderstärke, aber vielen „homegrown“-Talenten angetreten war, den „Großen“ des deutschen Footballsport die Stirn zu bieten.