Aufsteiger gegen Meister, ungeschlagener Tabellenführer gegen siegloses Team. Auch wenn Tabellen nach bisher einem Spieltag der ERIMA GFL 2023 natürlich ohne wirkliche Aussagekraft sind, klingt dies zunächst wie eine normale Konstellation. Ist es aber am Pfingstsamstag im Ingolstädter ESV-Stadion nicht. Denn die Rollen sind vertauscht: Die Ingolstadt Dukes starteten nach ihrem Wiederaufstieg in die erste Liga mit einem glatten 52:12 in Ravensburg. Titelverteidiger Schwäbisch Hall Unicorns verlor die German-Bowl-Revanche gegen Vizemeister Potsdam Royals mit 30:44.
Völlig unerwartet kam dies nicht. Für das auf vielen Positionen jünger als zuvor besetzte Team der Unicorns war der Auftakt gegen die Brandenburger, die über den Winter stärker auf Kontinuität setzen konnten, schon im Vorfeld als hohe Hürde gesehen worden. Im CEFL-Viertelfinale zwei Wochen zuvor zu Hause gegen Stockholm hatte Caleb Schweigart den Titelverteidiger in letzter Sekunde noch retten können. Nun gab es trotz aller Bemühungen von langjährigen Routiniers wie Tyler Rutenbeck die erste Heimniederlage der Unicorns seit fast exakt neun Jahren.
Am 3. Juni wird Frankreichs Vizemeister Thonon Black Panthers im Europapokal-Halbfinale in Schwäbisch Hall erwartet. Doch Head Coach Christian Rothe und sein Team können und dürfen daran noch keinen Gedanken verschwenden. Denn in Ingolstadt könnte die nächste Serie der Haller in Gefahr sein: seit acht Jahren in der ERIMA GFL Süd kein Spiel verloren zu haben. Die Dukes, die seit über 15 Jahren auf Eugen Haaf als Coach setzen dürfen, waren nach ihrem ersten Aufstieg 2017 bei einem denkwürdigen Spiel im Optima Sportpark schon einmal dicht dran, die Unicorns zu knacken. Mit einem Feuerwerk an Trickspielzügen versuchte Haaf seinerzeit, die Bastion zu stürmen, und beinahe wäre es gelungen.
Vor eigenen Fans könnte man am Samstag bei den Dukes geneigt sein, erst recht das gesamte Repertoire auszupacken. Vor der Saison verkündete der neue Defensive Coordinator Ron Ernst: „Wir müssen erst einmal das erste Spiel gewinnen und dann wachsam bleiben.“ Part eins ist gelungen. Übrigens nicht nur den wie im Rausch spielenden Angriff, sondern auch mit einer soliden Verteidigung. Punkte für den Gegner gab’s erst im letzten Viertel, als die Dukes sich bereits für das erste Heimspiel schonten. Im Ausblick auf das Match gegen den fünffachen Meister hatte Haaf vor der Saison betont: „„Dann ist es für uns ganz wichtig, dass uns genügend Fans anfeuern“, und Christian Rothe, sein Gegenüber aus Schwäbisch Hall, hatte auch da schon seine Befürchtungen: „Die Dukes werden eine hohe Motivation haben.“
Nach dem ersten Spieltag wird dies erst recht gelten, auch wenn die Ingolstädter selbst nicht ganz ungeschoren durchs Transferkarussell des Winters gekommen sind. Nach fünf Touchdown-Pässen und einem eigenen Lauf konnte aber Quarterback Matthew Weimer seinen Arbeitstag in Ravensburg vorzeitig beenden. Schließlich muss er zu Pfingsten ran, anders als die meisten Akteure und Teams der ERIMA GFL, die am Samstag außer dem Vergleich in Ingolstadt ansonsten je ein Interconference-Spiel und eines in der Nord-Gruppe auf dem Programm hat.
Auch im Nord-Duell heißt es (Rekord-)Meister gegen Aufsteiger, auch hier ist der Aufsteiger Paderborn Dolphins mit einem Sieg in die neue Saison gestartet. Mit mehreren Interceptions und einem entscheidenden Quarterback Sack am Schluss bremsten die Dolphins den Angriff der Kiel Baltic Hurricanes beim 33:28-Erfolg aus. Anders als Ingolstadt aber geht man nun auf Reisen. Und trifft in Braunschweig auf ein Team, das seinerseits souverän wie in besten Zeiten in die Saison gestartet ist: Beim 34:0 in Straubing geriet man selten in Gefahr und kann sich gegen Paderborn nicht aus der Favoritenrolle stehlen. Die Paderborner waren am ersten Spieltag übrigens neben den Allgäu Comets (knapper 52:48-Shootout-Sieger gegen Saarland) der einzige von zwei Heimsiegern.
Zwei Auswärtssiege hatte es auch in Marburg und Berlin gegeben, die zumindest in der Höhe überraschende 6:59-Niederlage der Mercenaries gegen Dresden sowie ein 21:13 der ihren Lokalrivalen Adler wieder einmal verblüffenden Berlin Rebels. Nun reisen die Marburger zum Interconference-Duell nach Berlin, und eigentlich kann es für sie nur besser werden: 151 Yards holte der neu formierte Angriff gegen die Monarchs, 515 musste die Defense herschenken. Schon im letzten Jahr hatten die Marburger einen sich bis in den Sommer hinziehenden Fehlstart, ehe es zum Ende hin besser wurde. Ob eine schnellere Wende dieses Jahr möglich ist? Bei den Rebels, die auf ihren auch laufstarken Quarterback-Neuzugang Connor Kaegi und eine gewohnt solide Defense bauen können, mag vieles nicht so filigran erscheinen wie anderswo. Aber einen guten Saisonstart verspricht es immer, wenn die „Basics“ wie im Schlaf sitzen und genutzt werden können.