Mitteilung von Rüsselsheim Razorbacks vom 17.04.2002

Mit fremden Mädchen tanzen

Von Sebastian Gehrmann
Die einseitige Spielweise der Rhein-Main Razorbacks soll sich künftig ändern / Sandro Cinelli neuer Assistenztrainer

Football-Trainer sind dafür bekannt, zu den ausgewiesenen Taktikern ihrer Zunft zu gehören. Nicht selten neigen sie dazu, sich im Vorfeld einer Saison tagelang hinter ihren Schreibtischen zu verkriechen, um an revolutionären und Erfolg versprechenden Spielzügen zu tüfteln, die später den Ausschlag über Sieg oder Niederlage geben sollen. Mike Wyatt ist so einer, doch der Trainer der Rhein-Main Razorbacks hätte in der vergangenen Spielzeit ein ganzes Buch schreiben können, am Ende musste er doch auf den immer gleichen Spielzug zurückgreifen: Pass von Quarterback Justin Peery auf Wide-Receiver Scott Pingle, der im Idealfall ungebremst bis in die Endzone stürmen sollte, lautete das mal mehr, mal weniger erfolgreiche Konzept im Jahr 2001. Kein Wunder, dass die Verteidigungsreihen der German Football League (GFL) nicht lange gebraucht haben, um sich auf diese Variante einzustellen. Die Razorbacks hatten es daher der individuellen Klasse ihrer beiden US-Amerikaner, die sämtliche Passspielrekorde der Vergangenheit pulverisierten, zu verdanken, dass diese eine Option zumeist erfolgreich war.

Kein Wunder, dass Wyatt zugleich nur selten Anlass und die nötigen Spieler hatte, um über das Laufspiel Yards gutzumachen. 'Wenn ich mit meiner Freundin in die Disco gehe', erklärt der Coach, 'tanze ich auch nicht mit fremden Mädchen.' Klingt plausibel. Nur wird Wyatt in dieser Saison von seiner Linie abweichen und 'fremdgehen'. Die durchaus erfolgreiche Passspiel-Strategie, die der Trainer seit seinem Einstieg bei den Razorbacks 1998 konsequent verfolgt, scheint langsam ihren Schrecken zu verlieren und ist mit den Zielen, die sich der Verein gesteckt hat, nicht mehr vereinbar.

Auf Platz eins in der Südstaffel wollen die Razorbacks am Ende der am 1. Juni beginnenden Spielzeit stehen, 'um dann in den Play-offs im Viertel- und Halbfinale Heimrecht zu haben', sagt Präsident Daniel Zeidler. 'Doch wenn wir im Angriff nicht flexibler werden', ergänzt er, 'werden wir wie in all den Jahren zuvor wieder kein Play-off-Spiel gewinnen.' Deshalb haben die Razorbacks die Position des zweiten amerikanischen Importspielers neben Quarterback J. D. Graves mit Running-Back Mike Lawrence besetzt, 'was den Vorteil hat', wie Wyatt anfügt, 'unberechenbarer zu sein'. Im Endeffekt sei es ihm allerdings egal, 'wie wir in die Endzone kommen'.

Doch nicht allein der Charakter der Spielweise, die der neue Assistenztrainer Sandro Cinelli, langjähriger National Coach bei der Frankfurt Galaxy, in besonderem Maße beeinflussen soll, wird sich bei den Razorbacks ändern. Vor allem die Qualität des Kaders ist mit der der Vorjahre kaum zu vergleichen. 'Die Rhein-Main Razorbacks haben ihren Namen wirklich verdient', sagt Zeidler, weil es den Verantwortlichen, wie angekündigt, gelungen ist, Spieler aus der Region, die es in den vergangenen Jahren vorgezogen haben, bei namhaften Vereinen aus der Nord-Staffel zu spielen, für die Razorbacks zu gewinnen. Somit gehören mittlerweile 69 Spieler zum Kader, und allein dass sich dabei die Zahl derjenigen, die über Erfahrung aus der NFL-Europe verfügen, von zwei auf zehn verfünffacht hat, zeigt, 'mit welchen Ambitionen wir in die Saison gehen' (Zeidler).

'Dieser Kader verfügt über ein Talent, wie ich es bei keiner Mannschaft zuvor erkennen konnte', schwärmt auch Wyatt und zaubert umgehend den entsprechenden Vergleich aus dem Hut. Nun liegt es am 'Bäcker', sagt er, 'aus den vorhandenen Zutaten einen schmackhaften Kuchen zu backen'- sprich eine schlagkräftige Mannschaft zu formen. Gerade in der Verteidigung müssen die Razorbacks deutlich an Stabilität gewinnen, um den etablierten Vereinen Paroli bieten zu können. 'So seltsam es klingen mag', bedeutet Wyatt, 'aber es wird nicht mehr reichen zu versuchen, einfach mehr Punkte als der Gegner zu erzielen.' Um den wirklich 'großen Coup', und der bleibt für Wyatt wie in jedem Jahr der Gewinn der Meisterschaft, zu landen, brauchen die Razorbacks eine zuverlässige Verteidigung. Dann ist 'die Chance auf den Titel, realistischer als jemals zuvor'.


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Dokument erstellt am 17.04.2002 um 00:00:14 Uhr
Erscheinungsdatum 17.04.2002