Geht es nach einem berühmten geflügelten Wort im American Football, dann entscheiden am Ende die Verteidigungen das Meisterschaftsrennen. Ob dies auch im ERIMA GFL Bowl am 12. Oktober im Essener Stadion an der Hafenstraße bei der Vergabe des 45. deutschen Meistertitels so sein wird? Die Hauptrunde schien von den Offensivrekorden des Titelverteidigers Potsdam Royals geprägt. Die Potsdamer gehen auch deswegen als Favorit in die Playoffs, die am 21. und 22. September mit dem Viertelfinale starten.
Deutlich über 60 eigene Punkte pro Spiel machten die Royals, Quarterback Jaylon Henderson warf 72 Touchdown-Pässe in zwölf Spielen, davon 25 auf Brendan Beaulieu. Nur einmal – gegen den Nord-Zweiten Dresden Monarchs – lagen die Potsdamer zur Pause mal zurück (mit 6:7). Ansonsten gewannen sie jedes einzelne Spielviertel der Saison bis auf eines beim später umgewerteten Auswärtsspiel in Berlin. Offensiv steigerten sie ihre Ausbeute im Vergleich zum Vorjahr von etwa 470 Yards Raumgewinn pro Spiel auf fast 525.
Die Potsdamer Angreifer profitierten offensichtlich davon, dass sie als einziges Top-Team der Liga mit demselben Quarterback wie 2023 weiter arbeiten konnten. Gleichzeitig allerdings waren die eigentlichen Verbesserungen in der Defense zu erkennen. Da hatte man beim ersten Finalauftritt vor zwei Jahren die Gründe für das Scheitern erkannt und schon letztes Jahr nachgebessert. Diese Saison nun hat man erstmals überhaupt die wenigsten Punkte aller Teams der ERIMA GFL zugelassen und sich in der Statistik mit unter 260 Yards gegnerischen Raumgewinns pro Spiel noch stärker verbessert (2023 waren es noch knapp 300 Yards) als im Angriff.
Und da liegt am Samstag im Viertelfinale auch ein deutlicher Unterschied zum Gegner Allgäu Comets. Nominal sind die Kemptener im Angriff die Nummer zwei der Liga nach den eroberten Yards, als einzige neben den Potsdamern mit über 400. Im direkten Duell im Interconference-Spiel Ende Juli in Kempten hat ihnen dies wenig gebracht: Jaylon Henderson warf da elf Touchdown-Pässe, Allgäus Xeavier Bullock nur zwei und damit gerade einmal so viel, wie die Special Teams und die Defense der Potsdamer dem Kantersieg noch hinzufügten.
Während also die Favoritenrolle in Potsdam am 21. September ab 16 Uhr klar vergeben ist, sieht es zweitgleich in Dresden und in Schwäbisch Hall etwas anders aus. In Dresden gab es während der Woche nur kurz Befürchtungen, das Hochwasser konnte die geplante Viertelfinal-Party im neuen Heinz-Steyer-Stadion beeinträchtigen. Inzwischen sind über 5.000 Tickets verkauft, die Erwartungen an die Monarchs sind hoch. Zumal Gegner Straubing Spiders selbst aus einem Hochwassergebiet anreist und sich erst in letzter Minute für die Playoffs qualifiziert hatte. Seit Juli haben die Straubinger bei drei Anläufen kein anderes Playoff-Team mehr schlagen können.
Sorgen macht den Dresdenern allerdings weiter ihr Verletzungspech. Die Sperre für Quarterback Brock Dormann hatte man mit der Nachverpflichtung von Kare Lyles beim Auswärtssieg in Schwäbisch Hall kompensieren können. Während der Saison waren mit Max-Gracie Ainscough und Michael Badejo zwei wichtige Spieler bereits langfristig ausgefallen, nun hat sich Receiver Simeon Oehme einen Sehnenabriss im Daumen zugezogen und wurde operiert. Linebacker Bhavya Gandhi hatte sich im Auswärtsspiel bei den Unicorns den Unterarm gebrochen. Beide stehen in den Playoffs nicht mehr zur Verfügung. Mit Macgarrett Kings Jr. hat man dafür neu einen US-amerikanischen Receiver geholt, der früher für die Michigan State University aktiv war.
Zweifellos haben die Dresdener das Ziel ERIMA GFL Bowl fest im Auge. Natürlich gilt dies auch für den fünfmaligen Titelträger Schwäbisch Hall Unicorns. Wie Viertelfinalgegner Hildesheim Invaders haben die Haller am Schluss Spiele der Hauptrunde verloren. Allerdings waren die zwei Niederlagen der Unicorns für sie unbedeutend, weil ihr Gruppensieg schon länger feststand. Hildesheim verspielte mit vier Niederlagen am Stück dagegen eine bessere Ausgangsposition für die Endrunde. Dennoch verspricht Invaders-Coach Marcus Herford: „Wir freuen uns total auf die Playoff-Partie mit den Unicorns. Die Unicorns sind eine super Organisation und toll gecoachte Mannschaft. Bei uns muss alles passen. Dann können wir in dieser tollen Atmosphäre des Stadions bestehen.“
Die Hildesheimer bereiten sich am Abend vor der Partie in Aalen vor, verzichten müssen sie auf Linebacker Sam Dickey, der sich im Niedersachsen-Derby gegen die New Yorker Lions in Braunschweig schwer am Knie verletzt hatte. Bei den Unicorns fehlt erneut Head Coach Christian Rothe, der sein Team wegen eines Rückenleidens nicht am Spieltag von der Seitenlinie unterstützen kann. Er warnt im Vorfeld: „Die Invaders sind ein sehr physisch spielendes Team inklusive einer starken O-Line. Das Viertelfinale wird ein enges Spiel und sicherlich kein Selbstläufer!“
Ähnliches gilt für den Sonntag, wenn in Ravensburg/Weingarten das Viertelfinale der ERIMA GFL seinen Abschluss findet. Rekordmeister New Yorker Lions ist da der wohl perfekte Gegner für die ifm Razorbacks Ravensburg zu deren Playoff-Debüt. Zwölf Meisterschaften haben die Braunschweiger im Gepäck. Seit der letzten 2019 ist die große Dominanz früherer Jahre aber nicht mehr zu spüren, in den letzten drei Jahren gab es zwei Niederlagen und einen knappen Overtime-Sieg in den Viertelfinalspielen gegen Süd-Teams.
Klar also, dass die Ravensburger sich etwas ausrechnen. Mut macht ihnen, dass sie selbst in Hildesheim im Interconference-Spiel eine Verlängerung erreichten und die Braunschweiger vor zwei Wochen ihren dritten Platz in der ERIMA GFL Nord auch erst sichern konnten, nachdem sie eine Overtime gegen die Invaders absolvierten. Und dann ist da ja noch die Heimstärke: Das Team von Head Coach John Gilligan, der vor dem wichtigsten Spiel der Ravensburger Vereinsgeschichte seinen Vertrag langfristig verlängert hat, hat dieses Jahr im Teledata Stadion am Lindenhof nie verloren…